Am Mittwochnachmittag und am Donnerstag waren die Nachrichten voll davon: Da hat einer in Karksruhe aus Verzweifelung vier andere Leute und dann sich selbst erschossen. Seit gestern ist es jedoch bereits wieder still um die Sache.
Karlsruhe war Schauplatz des blutigen Geiseldramas mit Schusswaffen (Bild: PD, Wikipedia)
Um die letzte derartige Geschichte, das Waiblinger Shooting, wurde wesentlich länger ein wesentlich größeres Trara gemacht. Das öffentliche Gebarme über den privaten Waffenbesitz ging sogar so weit, dass zur freiwilligen Ablieferung legal besessenen Waffen aufgerufen wurde. Zurerst von dem einen oder anderen wenig relevanten lokalen Möchtegernpolitiker, um auch einmal in spektakulärem Zusammenhang auf sich aufmerksam zu machen. Dann sogar ganz ernsthaft durch die Behörden. Dass diejenigen, die gutmenschelig-treudoof ihr rechtmäßiges Eigentum ablieferten, dann feststellen mussten, dass dieses keineswegs, um keinen Schaden mehr verursachen zu können, aus dem Verkehr gezogen, sondern an andere Leute verscherbelt wurde, ist aber eine andere Geschichte.
Warum wohl hört man nichts mehr?
Was am Donnerstag noch vom Karlsruher Geiseldrama zu hören war, war nicht nur interessant - der Täter hat die Waffen nicht legal besessen, denn er war nicht, wie es am Mittwoch zunächst geheißen hatte, Jäger - sondern versprach für die nächsten Tage auch weitere Informationen: Die Polizei wolle, so hieß es, nicht nur anhand der erwarteten Obduktionsergebnis mehr über den Tathergang herausfinden, sondern auch klären, wie der Mann trotz allerstrengster Bemühungen der hohen Obrigkeit, dem Untertanen Schusswaffen vorzuenthalten, an die ganzen Waffen gekommen war.
Davon ist jetzt nichts mehr zu hören. Verwunderlich? Keineswegs: Schließlich hat der Karlsruher Schießer sich die Waffen nicht legal beschafft und man kann daher weder ein weiteres Mal lauthals nach einer weiteren Verschärfung des (W)Affengesetzes plärren, weil Waffen in Bürgerhand einziger und alleiniger Grund für solche Dramen seien, noch Sportschützen und Jäger als potentielle Killer verunglimpfen. Und illegale Waffenbesitzer aufzuforden, doch bitte ihre Eisenwaren bei der Behördfe ihres Vertrauens abzuliefern, damit nicht noch ein Unglück damit geschehe, dazu mag sich dann wohl selbst der dümmste Gutmensch unter Beamten und Politikern nicht versteigen.
Und die tatsächlichen Hintergründe?
Wenn ein Shooting mit Waffen aus legalem Besitz stattfindet, so wie das in Winnenden der Fall war, hat man einen handfesten Anfasser um die Geschichte zu epischer Breite auszuwalzen: Den unerträglichen Zustand, dass in den trauten Heimen der Untertanen Millionen von Schießeisen lagern, die nur darauf warten, dass sie ein des einsamen Onanierens überdrüssiger Pickeljüngling an sich nimmt und ein Blutbad damit anrichtet.
Was tatsächlich dahinter steckt, wenn jemand so verzeifelt ist, dass er sich selbst tötet und noch andere mitnimmt, das zu untersuchen vermeidet man geflissentlich. Denn solche Überlegungen würden unweigerlich zu der Feststellung führen, dass dieser Staat ein Scheißhaufen ist, der einer Menge Menschen ganz einfach keine Chance auf ein auskömmliches Leben durch eigene ehrliche Arbeit lässt und den größten Teil des Restes zwingt, sich so abzustrampeln, dass viele das ohne Drogen und/oder Seelenklempner gar nicht aushalten. So war es offensichtlich bei dem Mann aus Karlsruhe, dem dieser Staat das nicht bieten konnte, was das Selbstverständlichste auf dieser Welt sein sollte: Die Möglichkeit, sich mit eigener, auf einen vernünftigen Umfang beschränkten und unter menschenwürdigen Bedingungen zu leistender Arbeit ein auskömmliches Leben mit einem Dach über dem Kopf zu finanzieren - und die Perspektive, dass dies auch in Zukunft so bleibt. Oder aber wenigstens diejenigen, die im Produktionsprozess nicht mehr gebraucht werden, auskömmlich zu alimentieren, ohne in ihnen den Eindruck zu erwecken, dass sie Almosen empfangen und nicht ihr gutes Recht wahrnehmen.
Morde oder erweiterte Suizide?
Ganz ähnliches gilt für den Buben aus Winnenden: Der ist mit hoher Wahrscheinlichkeit daran verzweifelt, dass er sich außerstande sah, die Anforderungen zu erfüllen, die man an ihn stellte. Der gestrenge, Leistungen fordernde Vater war ja auch nur wieder ein Produkt unseres Systems, der möglicherweise "auch nur das Beste" für seinen Buben wollte. Also wiederum das System, das die einen Menschen bis aufs Blut ausbeutet und die anderen von Arbeit, Konsum und Selbstwertgefühl ausschließt, damit einige immer noch mehr und noch mehr einsacken können.
Man muss bei der Betrachtung solcher Fälle vor allem eines bedenken: Karlsruhe, Winnenden, Erfurt und weitere Taten, die nicht weiter ausgeschlachtet wurden, weil die Täter ihre Waffen nicht legal besessen hatten, sind das, was Fachleute als erweiterten Suizid bezeichnen: Es geht primär darum, seinem Leben ein Ende zu setzen und nur sekundär nimmt man - sozusagen als Wutschrei, aus Rache, aus ohnmächtiger Wut - noch ein paar Leute mit.
Aufklärer wie Jean Jaques Rousseau deffinierten den modernen Staat als Zusammenschluss von freien Menschen zu deren jeweiligem Vorteil...
Ich habe hier bereits seinerzeit im Zusammenhang mit Winnenden auch zu bedenken gegeben, dass solche erweiterten Selbstmorde nur die Spitze eines Eisbergs von ganz gewöhnlichen Suiziden sind: Hin und wieder inszeniert ein Schulbub, der nicht mehr ein noch aus weiß, seinen Selbstmord spektakulär, indem er außer sich selbst noch eine Anzahl weiterer Menschen tötet: Einmal stark sein, einmal selbt die Knute in der Hand zu haben, unter der man sich immer bücken musste, einmal Rache nehmen, bevor man dann abtritt... Der Rest hingegen bringt ganz unspektakulär nur sich selbst um, was in der Öffentlichkeit gar nicht weiter wahrgenommen wird. Über die vielen Kinderselbstmorde aus Verzweifelung an einem System, das immer nur Leistung fordert, wird nur dann und wann und sehr pauschal berichtet. Und schon gar nicht wird klar und eindeutig gesagt, was der eigentliche Grund für so etwas ist, denn man will ja keineswegs etwas an den Verhältnissen ändern, die ja schließlich für die Leute, die tatsächlich bestimmen, wo es lang geht, sehr nützlich sind und deswegen, wenn nicht bewusst erzeugt, so doch billigend in Kauf genommen werden.
So war es wohl auch in Karlsruhe: Da war einer von vielen, denen das System keine Chance gelassen hat. Einer von einigen, die deswegen ihrem Leben ein Ende setzen wollen, weil sie keine Perspektive mehr erkennen können. Aber halt einer, der, anders als die meisten in einer solchen Lage, sich nicht still und leise aus diesem Leben geschlichen, sondern einen spektakulären Abgang mit viel fremdem Blut, dem seiner direkten Peiniger, gewählt hat.
Wozu haben wir eigentlich einen Staat?
Letztendlich würde das konsequente und ehrliche Hinterfragen solcher Taten dazu führen, sich Gedanken darüber zu machen, was wir eigentlich von unserem so genannten Staat haben. Nachdem man Staat und Obrigkeit nicht mehr mit einer angeblichen Gottgegebenheit der Macht begründen kann, lassen sich Staat und Staatsgewalt nur mit den unveräußerlichen Rechten des Menschen in Einklang bringen, wenn man den Staat so auffasst, wie es die Aufklärer getan haben: Als ein freiwilliger Zusammenschluss von freien Menschen, der diesen Vorteile bringt. Mit anderen Worten: "Der Staat, das sind wir."
... aber unser real existierender Staat dient vor allem den Besitzenden als Büttel und die Politik unterstützt sie bei der Ausbeutung der Arbeitenden, so dass die Zustände schon wieder stark an die Feudalzeit erinnern.
Leider kann man man das, was wir hier und heute als so geannten Staat haben, beim besten willen nicht mehr so sehen. Für uns ist der Staat heute etwas, das schon lange nicht mehr "Wir" ist, sondern sich zu einem mehr oder weniger feindlichen Gegenüber entwickelt und verselbständigt hat, mit dem man auf meist eher unfreundliche Art interagiert. Etwas, das uns unsere Rechte weniger garantiert, als das wir sie ihm abtrotzen oder zumindest von ihm nachdrücklich einfordern müssen. Tatsächlich ist unser Staat zu einem Apparat verkommen, dessen Hauptzweck es ist, sicherzustellen, dass eine kleine Gruppe von Menschen den Rest möglichst ungestört ausbeuten kann. Und so wird er auch zumnehmend empfunden.
Was hat das mit dem privaten Waffenbesitz zu tun?
Leider dient die öffentliche Ordnung heute ganz offensichtlich weniger dazu, den ganz gewöhnlichen Bürger vor Übergriffen zu schützen. Wenn man man näher hinschaut, drängt sich der Gedanke auf, dass sie eher dazu dient, zu verhindern, dass dieser Bürger, wenn ihm einmal aufgehen sollte, was tatsächlich gespielt wird, Maßnahmen ergreift, die ihm geeignet erscheinen, die Verhältnisse zu seinen Gunsten zu verändern.
Unter diesem Blickwinkel wird auch schnell klar, warum weder wirklich etwas gegen Kriminalität auf Straßen und Schulhöfen getan wird, noch dem Bürger gestattet wird, von seinem Notwehrrecht in geeigneter Weise Gebrauch zu machen. Zum einen sind ausufernde Straßenkriminalität und angebliche Terrorgefahr wunderbare Begründungen für Aufrüstung des Polizeiapparates, Schnüffelei, Meinungs- und Gedankenkontrolle - lauter Dinge, die eben für den Fall des Falles nützlich erscheinen, bzw. helfen sollen, ihn erst gar nicht eintreten zu lassen.
Daher ist es auch nicht sinnvoll, dem Bürger zu erlauben, eine Waffe zu tragen, um sich seiner Haut wehren zu können. Nicht trotz, sondern weil ein liberales Waffentragerecht erwiesenermaßen die Kriminalität senken und damit automatisch auch an der Berechtigung massiver polizeilicher Überwachung kratzen würde. Und natürlich kann man dem Untertanen natürlich sowieso keinen Waffenbesitz erlauben, wenn man damit rechnen muss, dass ihm einmal der Kragen platzt, weil er immer noch mehr schikaniert wird. Auch wenn dann und wann jemand abzuholen ist, weil er zu viel denkt und darüber auch spricht oder gar schreibt, ist für die damit betrauten Schergen ein wesentlich entspannteres Herangehen an die Sache möglich, wenn sie davon ausgehen können, dass der Delinquent über keine Waffe verfügt, um sich seiner Haut zu wehren - was dann aber doch nicht uneingeschränkt möglich ist, wie man in Karsruhe gesehen hat.
Eine wenig interessante Bluttat...
Immerhin hätte daraus, wie der Karlsruher Geiselnehmer zu seinen Waffen gekommen ist, eine schöne Geschichte für die Medien werden können: "Der Bluttäter von Karlsruhe - so kam er an sein Waffenarsenal". Diese Geschichte werden wir aber kaum zu lesen oder zu hören bekommen - jedenfalls nicht in den systemtreuen Mainstream Medien. Zum einen, weil damit implizit, aber unmissverständlich darauf hingewisen würde, dass ein strenges Waffenrecht nicht verhindert, dass sich derjenige, der Übles plant, problemlos auch auf illeglem Wege Waffen besorgen kann. Und zum anderen, weil das ganze natürlich auch einen gewissen Anleitungscharakter hätte. Schließlich möchte man ja nicht, dass der Bürger, dem man den legalen Waffenbesitz verbietet, dieses Verbot durch den simplen Kauf der Wunschwaffe auf dem schwarzen Markt umgeht.
Ich wette also meinen bewährten Jägerhut gegen ein McDonalds-Mützchen, dass wir von der Geschichte in Karlsruhe aus den "Qualitätsmedien" nichts oder so gut wie nichts mehr hören werden. Denn alles, was man jetzt noch darüber berichten könnte, soll der Untertan besser nicht wissen.